Corona: Sind wir jetzt anfälliger für Fake News?

Corona Fake News Psychologie

Seit einigen Wochen und Monaten geht nicht nur der Corona-Virus viral, sondern auch unzählige Fake News und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Ohne zu werten, welche der Theorien oder Gerüchte wahr sein könnten oder nicht, möchten wir hier der Frage nachgehen, warum sich dieses Phänomen gerade jetzt beobachten lässt und warum wir aktuell womöglich besonders anfällig sind? Aus medien- und sozialpsychologischer Sicht ist das ein sehr spannendes Thema, mit dem wir uns daher in diesem Beitrag auseinandersetzen.

Da dies keine einfache Frage ist und wir nicht den Anschein wecken möchten, dass die hier gemachten Aussagen und Überlegungen unbegründeter Natur sind, bauen wir diesen Beitrag etwas anders auf als bisher gewohnt. Dazu ein paar Vorabinformationen:

  • Genannte Aussagen und Überlegungen beruhen auf bekannten Theorien aus der Sozialpsychologie sowie auf bisherigen Studienergebnissen zu Verschwörungstheorien

  • Wissenschaftliche Studienergebnisse sind in ihrer Übertragbarkeit auf die Allgemeinheit oft limitiert

  • Nachgewiesene Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen weisen nicht immer auf einen kausal Zusammenhang hin

Ereignis, Mensch und Medium

Um das Phänomen besser verstehen zu können müssen wir uns drei Seiten ansehen: Das Ereignis (das Fake News oder Verschwörungstheorien hervorruft), die Menschen (die sie empfangen und verarbeiten) sowie das Medium (das die Behauptungen vermittelt – in unserem Fall also Social Media).

Das Ereignis: Der perfekte Nährboden?

Wir befinden uns derzeit in einer Situation, die zum einen hoch komplex und unüberschaubar ist und sich zum anderen unserer Kontrolle entzieht. Die Pandemie erinnert uns daran, dass doch noch nicht alles unter menschlicher Macht steht. Wir sind es normalerweise gewohnt frei zu sein, nicht fremdbestimmt. Und jetzt ist da plötzlich dieses Virus, das uns in gewisser Weise machtlos macht und Unsicherheiten weckt. Solch eine Situation ist die ideale Ausgangslage für Fake News, Halbwahrheiten, Gerüchte und Verschwörungstheorien. Auf der Suche nach Sicherheit und Halt kann es schon mal passieren, dass wir simpel erscheinenden Mustern lieber Vertrauen schenken, als der überfordernden Realität, in der wir uns befinden – insbesondere dann, wenn bestimmte Personengruppen, Institutionen, Politiker oder geheime böse Mächte als Schuldträger dargestellt werden. Aber warum ist das so und welche Rolle spielen die sozialen Medien in diesem Zusammenhang?

Verschwörungstheorien können Menschen Orientierung und Halt geben. Daher ploppen sie auch genau dann vermehrt auf, wenn Situationen undurchschaubarer werden. In diesem Kontext konnte gezeigt werden, dass Menschen eher dazu geneigt sind eine Verschwörungstheorie zu befürworten, wenn die Konsequenzen des Ereignisses erheblicher sind. Außerdem stehen ein hohes Maß an Fremdkontrolle und ein geringes Maß an Vertrauen im Zusammenhang mit der Einstellung zur Existenz von Verschwörungen.

Wenden wir diese Erkenntnisse auf die aktuelle Corona-Situation an, wird schnell klar, warum sie gerade jetzt der perfekte Nährboden für Verschwörungen sein kann. Die Situation ist kompliziert, die Konsequenzen übergreifen sämtliche Lebensbereiche und noch dazu fühlen wir uns zu einem bestimmten Maß fremdbestimmt. Das könnte also wiederum dazu beitragen, dass wir anfälliger sind.

Der Mensch: Selbstwert, Einstellungen & Fehlschlüsse

Neben externen Ereignissen spielen natürlich auch Aspekte, die sich im Menschen selbst abspielen, eine Rolle bei der Befürwortung von Falsch-Nachrichten oder Verschwörungstheorien.

Unangenehme Ereignisse können sich beispielsweise negativ auf unseren Selbstwert auswirken. Fühlen wir uns durch die aktuelle Situation unseres Selbstwertes beraubt, müssen wir ihn einfach wieder stärken. Eine mögliche Strategie ist das Sündenbock-Phänomen. Das heißt, wir können einfach (ob begründet oder nicht) Personengruppen, Politiker oder geheime Mächte beschuldigen und uns durch ihre Demütigung wieder stärker fühlen. In diesem Kontext wurde gezeigt, dass unter anderem ein hohes Maß an Ohnmacht sowie ein geringes Selbstwertgefühl im Zusammenhang mit dem Glauben an bestimmte Verschwörungen stehen. Zudem wurde nachgewiesen, dass Menschen, die nach Einzigartigkeit streben, eher an Verschwörungen glauben.

Ebenso interessant ist es an dieser Stelle nachzuvollziehen, wie und warum wir unsere Einstellungen überhaupt ändern oder anpassen. Laut der Theorie der kognitiven Dissonanz empfinden wir immer dann ein unangenehmes Spannungsgefühl, wenn unser Verhalten oder unsere Wünsche in Widerspruch mit unseren Einstellungen und Werten stehen. Da wir diese Dissonanz als unangenehm empfinden, versuchen wir sie zu reduzieren. Dazu können wir zum Beispiel unser Verhalten ändern, sodass es wieder zu unseren Überzeugungen passt. Wir können unsere Einstellung ändern, sodass sie zu unserem Verhalten passt. Oder aber wir ziehen weitere Überlegungen heran, um unser Verhalten zu rechtfertigen. Nehmen wir also (ganz vereinfacht) an Person X ist eine verantwortungsbewusste Person. Das schöne Wetter möchte sie mit Freunden genießen und verstößt somit gegen die geltende Kontaktbeschränkung. Ihr Verhalten steht nun in Widerspruch mit ihrer sonst sehr korrekten Art. Um diese Dissonanz zu reduzieren, kann sie sich nun einreden, dass es doch gar nicht so schlimm war, dass sie den Abstand eingehalten hat und, dass es nicht wieder vorkommen wird. Oder aber sie ändert ihre Einstellung gegenüber der Kontaktbeschränkung, indem sie sie für sinnlos, unberechtigt und als Eingriff in die Privatsphäre einstuft. Um ihre neue Überzeugung zu stützen, konzentriert sie sich bei der Informationsbeschaffung auf Inhalte, die zu ihrer neuen Einstellung passen und beschafft sich Informationen somit selektiv. Das Beispiel verdeutlicht, warum wir manchmal vielleicht einfach nur an das glauben möchten, das gerade besser passt.

Last but not least, können natürlich auch Fehlschlüsse oder fehlerhafte Einschätzungen dazu führen, dass wir an Geschichten glauben, die zumindest nicht nachgewiesen sind. So konnte bereits gezeigt werden, dass Menschen, die anfälliger für den Konjunktions-Fehlschluss sind, eher dazu neigen, Verschwörungstheorien zu befürworten. Der Konjunktions-Fehlschluss ist die fehlerhafte Annahme, dass das Auftreten zweier unabhängiger Ereignisse wahrscheinlicher ist als das Auftreten einer der beiden Komponenten allein (was rein mathematisch betrachtet nicht sein kann). Unsere statistischen Fähigkeiten und Intuitionen stehen also manchmal im Widerspruch mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, sodass wir unwahrscheinliche Ereignisse überbewerten können.

Das Medium: Social Media als Distributionskanal

Und welche Rolle spielt nun Social Media? Eigentlich eine sehr zentrale! Zum einen beeinflussen soziale Medien die Verbreitung von Falsch-Nachrichten. Zum anderen bieten sie allen Menschen mit Internetzugang das Recht eigenständig Inhalte zu veröffentlichen. Jede Person, die möchte, kann durch Social Media zum Sender einer Nachricht werden. Im Gegensatz zur Berichterstattung in den klassischen Massenmedien gibt es auf Social Media auch wenig Kontrolle darüber, wer was schreibt oder erzählt. Auf der einen Seite ist es natürlich schön, dass jeder seine Meinung kundtun kann. Auf der anderen Seite ist es aber auch erschreckend, dass theoretisch jeder Mensch mit vermeintlich wahren Inhalten andere Menschen beeinflussen kann – und, dass dieser Einfluss nicht unbedingt gering ausfallen muss. (Natürlich beeinflussen uns klassische Nachrichtenmedien genauso – hier können wir jedoch zumindest mal annehmen, dass sich erfahrene Journalisten an den Pressekodex halten und seriös arbeiten).

In diesem Zusammenhang sollte auch der soziale Einfluss, der auf Social Media gegeben ist, nicht unterschätzt werden. Dieser kann dazu beitragen, dass Menschen ihre Einstellungen ändern, weil sie den Meinungen anderer “ausgesetzt” sind und diese annehmen. Schauen wir uns beispielsweise ein Video mit 100.000 Views, hunderten befürwortenden Kommentaren und tausenden Likes an, könnte der soziale Einfluss ziemlich hoch ausfallen. Das heißt, wir könnten annehmen, dass diese ganzen Menschen irgendwie Recht haben und richtig liegen müssen.

In dem Moment, in dem wir uns das Video ansehen, erkennen auch verschiedene Algorithmen im Hintergrund, dass wir uns scheinbar für dieses Thema interessieren. Womöglich wird uns das nächste Mal, wenn wir durch unseren Feed scrollen ein ähnliches Thema ausgespielt. Auch das kann “gefährlich” werden. Denn je öfter wir eine Botschaft empfangen, desto glaubwürdiger wird sie uns irgendwann erscheinen – unabhängig davon wie hoch ihr Wahrheitsgehalt ist.

Maßnahmen gegen Fake News

Mittlerweile ergreifen die Plattformen übrigens verschiedene Maßnahmen, um die Verbreitung von Fake News zu verhindern. So bündelt Facebook beispielsweise verifizierte Nachrichten auf einer extra Seite zum Thema Corona, auf der Nutzer einen Überblick über aktuelle News erhalten. Sucht man auf Instagram nach “Coronavirus” so wird einem direkt als erster Treffer die Webseite des Bundesgesundheitsministeriums vorgeschlagen. Auch auf TikTok findet man nach der Sucheingabe ganz oben verifizierte Fakten zum Thema. WhatsApp reagiert auf die schnelle Verbreitung von Fake News mit einer Einschränkung der Weiterleitungs-Funktion.